Ich bin ein Ostseekind. Eines, das die steife Brise mag. Eines, das jeden Tag Fisch essen kann. Und eines, das auch im Winter wenigstens ein Mal kurz den großen Zeh in die salzige Ostsee hält. Meine Oma hat immer gesagt, dass sei gut für die Gesundheit. Früher, da hatte sie immer ein Handtuch dabei. Für jene Momente, in denen wir „kurz mal was für die Gesundheit tun“ wollten oder jene, in denen ich viel zu euphorisch ins Wasser hüpfte und plötzlich bis zu den Knien in der Ostsee stand. Die Ostseeinsel Usedom ist zusammen mit Berlin meine Heimat und nur schwer konnte man mich bisher dafür begeistern, doch auch einmal das Gewässer zu wechseln. Die Nordsee? Nee! Niemals. Wieso sollte ich für ein paar Stunden am Tag das Wasser gegen dunkles Watt eintauschen? Nordseekrabben anstatt Ostseefisch? Auf gar keinen Fall. „Da soll es doch aber auch ganz schön sein“, meinte meine Oma. Und so sitze ich im Zug. Die Thermoskanne mit Tee vor mir. So als Einstimmung an den Ostfriesentee, dachte ich mir. Früh am Morgen habe ich Berlin hinter mir gelassen und mich in den hohen Norden aufgemacht. Mein Ziel: Norden, ein kleines Örtchen in Ostfriesland.
Ostfriesland wirkte auf mich immer ganz verschlafen. Einer dieser Orte, an denen man so richtig runterkommen kann, wenn mal wieder alles so viel ist. Ein Ort, der dank seiner herzlich kühlen Menschen ganz schnell einen Platz in meinem Herzen finden würde, dachte ich mir. Die Landschaft um mich herum ist flach, verdammt flach. Das muss es sein, dieses Ostfriesland, dachte ich mir, als ich auf die knallgrüne Wiese blickte, die an mir vorbeizog. Das muss es sein.
Meine Zeit in Ostfriesland beginnt in Norddeich, einem Stadtteil der Stadt Norden, der nordwestlichsten Stadt des deutschen Festlandes und eine der ältesten Städte Ostfrieslands. Schon von Weitem kann ich den Deich erkennen, der sich durch die Prärie schlängelt. Ein Schutz vor Hochwasser und die wohl beste Ausgangslange für einen ausgiebigen Spaziergang – steife Brise inklusive. Selbst die Sonne lässt sich blicken und wirft charmante Schatten auf die Strandkörbe, die, wie kleine Farbtupfer, das Flachland zwischen Watt und Straße aufpeppen. Das Watt, das ist auch gerade da und die Nordsee weg. Na gut, dann lernen wir uns eben erst morgen kennen. Über mir kreisen die Möwen, auf der Suche nach dem letzten Wattwurm. Der, hoffentlich, nicht schon von den Wattwanderern unter die Lupe genommen wurde. Der Himmel färbt sich orange. Ah, Sonnenuntergang. Eine ganz besondere Stimmung legt sich über das Getuschel der Spaziergänger und jener, die sich bereits auf den Weg in die kleinen Fischstuben von Norden machen. Auch ich sichere mir noch einen Platz auf der Terrasse vom Restaurant Seestern. Die rustikalen Holzbänke passen zu der Umgebung, die bekannt ist für ihre Luft. Kein Wunder also, dass es hier eine Menge Leute herzieht, die Probleme mit den Atemwegen haben. Lange bleibe ich nicht allein, da gesellt sich bereits eine Gruppe rüstiger Rentner zu mir. Spaß haben sie – und versüßen mir damit mein Abendessen: Ostfriesentee und Nordseekrabben. Ja, Oma, es ist doch ganz schön hier.
Der nächste Morgen in Norddeich beginnt mit strahlendem Sonnenschein – passend zu meinem Date mit einem kleinen, heißen Gefährt, das ich heute noch vor mir habe. Das Gefährt heißt Hot Rod und mit ihm brettere ich heute durch das ostfriesische Flachland. Rolf, der seit einem Jahr mit den kleinen Wagen durch sein Terrain heizt, ist Feuer und Flamme. Es passt zu ihm. Großer Mann, Dreitagebart, verschmitztes Lachen und die nordische Lebenslust. „Du nimmst das ganz vorne“, ruft er mir zu und drückt mir einen Helm und eine Sturmhaube in die Hand. Es geht los. Auch wenn Rolf das gar nicht gefallen wird, aber die kleinen Dinger sehen aus, wie umgebaute Seifenkisten, die mit ordentlich Karacho wie Kart-Autos gefahren werden können. Der Helm sitzt, die Sonnenbrille auch. Wir starten. Rolf kennt sein Terrain, wie kein anderer. Jede Ecke, jeder Baum, jede Gasse – es ist ihm alles bekannt. Und so ist es auch kein Wunder, dass er hier und da mal fix die Hand ausstreckt, um einen Bekannten zu grüßen. Wir fallen auf. Die Leute bleiben stehen, gucken, machen Fotos. Wie echte Stars heizen wir durch Ostfriesland. So, wie es Otto wohl tut, wenn er sich auf den Weg in seinen geliebten gelb-rot-gestreiften Leuchtturm macht. Durch die verlassenen Straßen und Feldwege von Ostfriesland, vorbei an ungestört grasenden Kühen, mitten durch das charmante Örtchen Greetsiel geht es für uns eben auch genau dort hin: zum Pilsumer Leuchtturm, der dank des Comedians Otto zu einem echten Star im hohen Norden geworden ist.
Wir machen eine Verschnaufpause und wärmen uns, wie soll es anders sein, mit heißen Ostfriesentee auf. Der wird hier übrigens klassisch mit einem Kluntje getrunken. Einem Stück Kandiszucker, der dem Tee die nötige Süße gibt. Oben drauf kommt dann ein Klecks Sahen. Sympathisch sind sie, die Ostfriesen.
Rolf klatscht in die Hände. „Los, wir müssen uns beeilen“, ruft er mir zu. Wir hüpfen in die Autos, starten den Motor und verpassen der sonst so ruhigen und gemächlichen Umgebung ihren nötigen Bums. Diesmal geht es über die Landstraße zurück nach Norden. Landstraße. Das bedeutet 70 Sachen in kleinen Seifenkisten. Sorry, Rolf. Jetzt habe ich das S-Wort schon wieder verwendet. Die zwei Stunden in den Hot Rods vergehen viel zu schnell und schon sind wir zurück in Rolfs Werkstatt. Helm ab, Warnweste aus und ein letztes „Bis Bald!“. Ach, das könnte ich jeden Tag machen und stelle mir schon vor, wie ich damit durch die Berliner Kieze fahre.
Von hier aus geht es mitten hinein in das Zentrum von Norden. Kopfsteinpflaster durchzieht die kleinen Straßen, rechts und links stehen niedliche Häuser, die fast schon ein bisschen holländisch wirken. Es geht in das Café ten Cate – zum ostfriesischen Mittagsschmaus. Seit 1878 gibt es dieses Café schon und was einst als Konditorei begann, hat sich mittlerweile zu einer echten Institution entwickelt. Auch hier wird die ostfriesische Fahne ganz hoch gehalten. Die Karte ist gespickt mit jenen Leckereien, die es eben nur hier gibt. Für mich gibt es einen Ostfriesentee. Und Matjes. Ein bisschen Ostseekind bleibt eben doch.
Mein Blick schweift durch das Restaurant. Es ist Dienstagmittag und das Café ten Cate ist verdammt gut besucht. Hier und da sitzen ältere Paare, vertieft in der Zeitung oder in Gesprächen. Dazwischen tuscheln ein paar Damen über den neuesten Dorf-Schnack und mittendrin ein paar jüngere Besucher, die sich ihre Mittagspause sicher wohl verdient haben. Gemütlich ist es. Und sympathisch. So wie jede Ecke in Ostfriesland, die ich hier in meinem kurzen Aufenthalt von zwei Tagen miterleben durfte. Für jetzt kehre ich Norden erst einmal den Rücken zu. Der letzte Schluck meines süßen Tees ist getrunken, der Koffer gepackt. Es geht zum Fährhafen und damit in das nächste ostfriesische Abenteuer. Der steifen Brise nach.
Danke an Ostfriesland Tourismus für die Einladung in den hohen Norden!
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