Der Morgen in Venedig beginnt spät. Er beginnt gelassen und ganz gemächlich. Touristen? Die haben sich schon längst am Markusplatz versammelt. In Scharen stehen sie dort, im geheimen Herz von Venedig. Ich warte noch ein wenig und sehe es ganz süd-europäisch. Ich spaziere mitten durch den Bezirk Cannaregio, der sich im Norden der italienischen Stadt befindet. Früher einmal war Cannaregio das jüdische Viertel, das Ghetto, heute ist dieser Teil von Venedig ganz anders, als der Rest. Cannaregio ist ruhig. Cannaregio ist hip und besitzt sogar versteckte Gassen, die ich ab und zu sogar komplett für mich alleine habe. So, wie jetzt gerade, als ich den letzten Schluck meines Espressos im Stehen schlürfe, das Teigteilchen verschlinge und mich mit einem gekonnten „Ciao“ von der netten Bedienung in dem kleinen Eck-Café ohne Stühle verabschiede.
Sehenswürdigkeiten in Venedig gibt es ohne Ende. Ich bin aber nicht dafür hier. Ich bin in Venedig, um mich treiben zu lassen, um durch die kleinen Gassen zu spazieren, mich entlang der Kanäle zu verlieren und bei einem typischen Aperol mit einer dicken Olive den Tag im zarten Orange des Sonnenuntergangs ausklingen zu lassen.
Die Sonne drückt. Es sind knappe 37 Grad und der Kampf um den letzten Schattenplatz ganz dicht an der Häuserwand wurde nun auch gekonnt vom chinesischen Tourist eingenommen. Kein Problem, denn ein Wochenende in Venedig bedeutet auch immer ein bisschen Lebensgefühl und garantiert kein Stress. Mit einer ordentlichen Kugel Eis setze ich mich auf den Bordstein Canal Grande und beobachte, wie die kleinen Gondeln und die hupenden Vaporettis an mir vorbeiziehen. So weit das Auge reicht sehe ich wankelnde Gondeln, allesamt angeführt von in fesch gekleideten Männern in ihren weiß-schwarz-gestreiften T-shirts. Das rote Bändchen an ihrem Hut wedelt in jeder kleinen Windböe, die sich nur selten einen Weg durch die engen Abstände zwischen den kleinen Häusern bahnen. Dazwischen pirschen die Vaporetto-Boote vorbei. Die, wie immer, vollgepackt mit Touristen sind, und jene von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit bringen.
Ich lasse Cannaregio so langsam hinter mir und folge den Reisegruppen, den winkenden Schirmen und den eifrig in die Höhe gestreckten Fähnchen in das Touristen-Zentrum Venedigs. Die Gassen werden enger, die Kanäle kommen näher und der Gesang der Gondoliere wird lauter, klarer zu erkennen und lässt mich sofort ein wenig mitsummen. O sole mio. Nun kommen die ganzen Souvenir-Läden, es riecht nach Lavendel und nach frischem Kaffee, den ich mir auch noch schnell, klassisch im Stehen, gönne. Ich habe einen Termin – und das an einem so entspannt italienischen Tag. Wir treffen uns an der Löwenstatue, mitten auf dem Markusplatz. Das, so habe ich schnell gemerkt, ist auch der Treffpunkt von vielen anderen Menschen, die für ein Wochenende in Venedig sind. Ich reihe mich ein, bestaune noch schnell den pompösen Dogenpalast, bevor mein Date breit grinsend vor mir steht: Maria.
Küsschen rechts, Küsschen links und schon spazieren wir gemeinsam in Richtung Wasser. Die nächsten zwei Stunden werde ich dort verbringen, wo echte Venezianer ihr ganzes Leben verbringen: auf den Kanälen von Venedig. Unser Boot ist schön. Es ist ein klassisches Boot, mit Ledersitzen und poliertem Holz. Der Kapitän ein echter Italiener: Gel in den Haaren, Sonnenbrille auf und grundsätzlich gut gelaunt.
Wir starten. Es geht in Richtung offenes Meer, mit Blick auf die umliegenden Inseln, die ich durch das Flackern der 38-Grad-Hitze nur schwer erkennen kann. Doch es sind Giudecca, Murano und Burano, auf die Maria in der Ferne zeigt. Unser Kapitän gibt Gas, dreht eine scharfe Linkskurve und schon befinden wir uns mitten im Kanal-Wirrwarr von Venedig.
Städte, die direkt am Wasser sind, sind für mich immer etwas ganz Besonderes.
Sie haben diesen maritimen Charme, aber ohne die frische Meeresluft. Dafür riecht es nach Wasser, es entspannt und gibt der ganzen unruhigen Großstadt die nötige Ruhe. So ist es in Amsterdam, so ist es vielleicht auch in Budapest, in Prag, aber vor allem ist es so in Venedig. Die Touristen, die hier tagein, tagaus durch die Gassen spazieren fallen nicht auf, ganz im Gegenteil. Sie geben der gesamten Atmosphäre noch ein ganz besonderes Detail und lassen Venedig zu einer einmaligen Stadt werden, einer Mischung aus italienischem Alltag, der so entspannt und charmant wirkt, und kosmopolitischer Bewegung, die dank der internationalen Touristen ganz besonders stark ausgeprägt ist.
Ich lasse mir die Sonne auf die Nase knallen, lausche dem Rauschen des Wassers, das unter unser Boot flitzt und begutachte die vielen schönen Häuser, die so wirken, als seien sie auf das Wasser gebaut. Unvorstellbar, dass diese Häuser überhaupt noch stehen, sind sie doch mitten in den Kanälen und voll und ganz umgeben von Wasser. Maria ist eine echte Venezianerin. Eine solche, die schon im Alter von sechs Jahren das Bootfahren von ihrem Papa erlernt hat. Eine, die viel läuft, weil sie sich daran gewöhnt hat und niemals auf ein Vaporetto steigen würde. Es ist eine jene, die ihre kleinen Bars und Cafés kennt, die weiß, wo es die besten Cicchetti, venezianische Tapas, gibt und wo der Aperol am besten schmeckt. Maria kennt aber auch die ganzen Geschichten über ihre Stadt. Die sprudeln nur so aus ihr heraus, dass es schwierig ist, ihr überhaupt zu folgen oder die vielen Details zu behalten. „Dort werden die Gondeln repariert. Schau mal, da haben früher die arabischen Händler gewohnt und das da, das ist mein absolutes Lieblingsrestaurant, in dem es so schmeckt, wie bei meiner Oma zu Hause.“ Maria ist in ihrem Element. Und ich in einer Stadt, die ich sofort in mein Herz geschlossen habe.
Die Zeit mit Maria vergeht viel zu schnell. Warmherzig sind sie, die Venezianer. Ein letztes Mal folge ich Maria, zurück zum Löwen, über den Markusplatz und direkt zur Rialto-Brücke, die am Abend, im Licht des Sonnenuntergangs noch einmal viel pompöser scheint. Maria muss von hier aus weg. Küsschen rechts, Küsschen links. Ich spaziere über die Brücke und gehe dorthin, wo auch Maria jetzt wahrscheinlich gern gesessen hätte: auf der rüstigen Holzbank in einem kleinen Hinterhof, einen Aperol in der Hand und den Gesprächen der Gäste im Al Mercà folgend. O sole mio, Venedig, du schöne Stadt.
Meine ganz persönlichen Tipps für ein Wochenende in Venedig:
- Die Bootstour habe ich mit Walks of Italy gemacht. Alle Infos gibt es hier.
- Ich war Anfang August in Venedig und es war brütend heiß. Packt euch also leichte Sommerkleidung und bequeme Schuhe ein. Ich hab zum Beispiel vorher noch schnell bei Esprit geschaut und mir ein ganz dünnes Kleid und ein paar Hängerchen gekauft. Damit hab ich mir an einem heißen Tag, an dem ich viel durch die Straßen gelaufen bin, eine Menge Stress und vor allem Schweiß gespart.
- Meine Lieblingsbar: Al Mercà am Campo Bella Vienna. Hier gibt es neben Aperol auch leckere Brötchen mit frischem Aufschnitt aus der Fleischerei nebenan.
- Mein Lieblingsrestaurant: Al Timon. Hier gibt es Steakplatten, die unschlagbar gut sind und Boote, in denen man den Abend bei einem letzten Glas Wein ausklingen lassen kann.
- Hoteltipp: Mitten in Cannaregio befindet sich Ca’Bibi Rooms. Hier gibt es große Zimmer, eine Gemeinschaftsküche und die wohl netteste Hausherrin in ganz Venedig.
Die Bootstour konnte durch die Unterstützung von Walks of Italy durchgeführt werden. Vielen Dank dafür! Meine Liebe für Venedig ist aber echt.
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