Von weitem erreichen uns Geräusche. Sanft sind sie. Ist es Gesang? Ein Gebet? Richtig einordnen kann ich es nicht, aber ich weiß, dass ich es so noch nicht gehört habe. Wir nähern uns der Quelle. Die Geräusche werden lauter, klarer, definierbarer. Die Sprache verstehe ich trotzdem noch nicht und auch kann ich noch nicht so wirklich zuordnen woher sie eigentlich kommen, diese magischen Geräusche.
Vor mir steht ein riesiger Koloss aus rotem Stein, der mit seiner Farbe perfekt zu den weißen Gewändern jener Leute passt, die auf das Gelände stürmen. Es ist ein kleiner Teil des achten Weltwunders, der sich hier vor mir auftürmt. Ein kleiner Teil der Felsenkirchen von Lalibela im Norden von Äthiopien – dem Dach Afrikas. Heute ist Maria-Tag. Ein heiliger Tag, der von den äthiopisch-orthodoxen Christen mit Gesang und Musik gefeiert wird. Ich folge dem mystischen Geräusch und lande in einer kleinen Ecke, in der sich ein paar Männer mit Musikinstrumenten versammelt haben. Wie in Trance wirken sie – so schwankend und singend dort in der Ecke. Sie bemerken mich kaum und wenn, dann lassen sie sich nicht stören von mir. Sie kennen sie schon, die Touristen, die hier herkommen, um das Wunder von Äthiopien mit eigenen Augen zu sehen.
Die Felsenkirchen von Lalibela sind der ganze Stolz des Landes. In nur einer Nacht wurden sie, so erzählt man sich, von Engeln erschaffen. Engel, die aus roten Basaltlava-Felsen riesige Kirchen in monolithischer Bauweise geschlagen und so ein zweites Jerusalem gebaut haben. Heute befinden sich hier elf Felsenkirchen, die seit 1978 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören. Aufgeteilt sind die Kirchen in drei Gruppen: einer nördlichen, einer westlichen und einer östlichen Gruppe. Wer die Felsenkirchen auf seiner Reise durch Äthiopien besuchen möchte, der kann ganz einfach mit Ethiopian Airlines nach Lalibela fliegen und entweder direkt eine geführte Tour buchen, sich vor Ort einen Guide besorgen oder aber die Kirchen individuell besuchen. Die Felsenkirchen von Lalibela sind jeweils von 9 bis 12 Uhr und von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Wer also alle Kirchen samt Hintergrund, Geschichten und allen Details sehen möchte, der sollte zwei Tage für einen Besuch einplanen.
Ich stütze mich am roten Stein ab, um meine Schuhe auszuziehen. Abgenommen wird mir das Paar vom netten Schuh-Aufpasser, der mich auf meiner Reise durch die Felsenkirchen von Lalibela begleiten wird. 11 Kirchen, 11 Mal Schuhe an- und wieder ausziehen liegen vor mir. Ich muss mich ducken, um die erste Kirche zu betreten, denn der Eingang ist nicht wirklich hoch. Dunkel ist es hier und auch die Kuppel, samt bunter Bildchen in den Wänden, suche ich hier vergeblich. Das Innere dieses Felsens ist mit einem Teppich ausgelegt. Rechts und links lehnen die Bilder der Heiligen an der Wand – geschützt durch Tücher, die sie vor dem Anfassen der vielen Touristen, die hier herkommen, bewahren soll. Auch einen Aufpasser gibt es. Vorne rechts in der Ecke sitzt ein Priester auf einer schon in die Jahre gekommenen Holzbank und döst, den Kopf auf seinem Gebetsstock aufgestützt. Ein eigenartiges Gefühl packt mich. Etwas mystisches, fast schon leicht gruseliges überkommt mich und gibt mir eine Gänsehaut.
Der Großteil der äthiopischen Gläubigen verfolgt die äthiopisch-orthodoxe Religion. Eine Religion, die so komplex ist, dass es als Außenstehender und vor allem Nicht-Gläubiger schwierig ist, die Details zu verstehen. Grundlage der äthiopisch-orthodoxen Religion ist die Verehrung der Bundeslade. Die heiligste Schrift aus dem Christentum wird zwar nie gezeigt, dennoch sind sich die Äthiopier sicher, dass sie im Besitz dieses Kultgegenstands sind.
Ich lasse die Fakten, die vielen Erklärungen und die wahnsinnig durchdachten Bilder, Gegenstände und religiös vorgesehenen Stellen in dem gesamten Komplex der Felsenkirchen von Lalibela hinter mir und lasse mich vom Zauber treiben. Davon, dass mich aus Felsen geschlagene Kirchen umgeben. Felsen, die von Menschenhand so bearbeitet wurden, dass sie heute wunderschöne, religiöse Stätten zeigen. Und davon, dass die Verehrung einer Religion, einer Zugehörigkeit, hier so gut zu beobachten ist, dass ich mich am liebsten den ganzen Tag auf einer der felsigen Stufen des Kirchen-Komplexes setzen würde, um die Einheimischen und einheimischen Touristen bei ihrem Gang in die Kirche zu beobachten. Für heute haben sie alle ihre schönsten weißen Gewänder aus dem Schrank geholt. Das machen sie immer so, wenn ein Feiertag ist – und davon gibt es hier eine ganze Menge. Auch sie lassen ihre Schuhe vor dem Eingang der Kirche stehen, küssen eine Stelle neben der Eingangstür, das Kreuz des Priesters und fangen an, zu beten. Es ist eine Hingabe, die als Nicht-Gläubiger oft ein wenig befremdlich wirkt. Es ist aber auch eine Hingabe, die so echt und wichtig für die Menschen hier scheint, dass sie schon wieder zu etwas ganz Besonderem, ganz Eigenen wird.
Durch dunkle Gänge, steile Aufstiege und ein bisschen Fußmarsch geht es für mich von Kirche zu Kirche, von Geschichte zu Geschichte und vor allem von Schuh-Anziehen zu Schuh-Ausziehen. Ein Tag in den Felsenkirchen von Lalibela vergeht wie im Flug. Und doch wartet am Ende noch ein ganz Besonderer Anblick auf jeden Besucher, der hier herkommt: die Georgs-Kirche. Während die Sonne so langsam hinter den Bergen verschwindet, blicke ich auf einen 13 Meter tiefen, kreuzförmigen Stein, der sich langsam noch röter färbt, als er eigentlich schon ist. Ich kann mir kaum vorstellen, dass dieses riesige Kreuz einmal von Menschen gemeißelt wurde, suche mir einen Platz, der etwas höher über der Kirche liegt und blicke auf das Wunderwerk der Georgs-Kirche.
Mit dem Sonnenuntergang mach ich mich auf den Weg ins Hotel und lasse die Eindrücke auf mich wirken. Gesänge, betende Religiöse, schlafende Priester und ambitionierte Schuh-Aufpasser gepaart mit ein paar italienischen, spanischen und deutschen Reisegruppen, haben diesen einen Tag in den Felsenkirchen von Lalibela zu etwas ganz Magischem gemacht. Etwas, das so schwer in Worte zu fassen ist, dass Bilder fast viel mehr sagen. Bilder, die die betenden Menschen mit ihren starken und hingebungsvollen Gesichtern zeigen. Bilder, die nur einen Bruchteil der wahnsinnig großen Monolithen zeigen, die sich hier in Lalibela in ihre vollen, roten Schönheit präsentieren. Und Bilder, die so fest in meinem Kopf verankert sind, dass sie, zusammen mit den Geräuschen, das Abenteuer Lalibela so präsent halten, dass ich es immer noch spüren und die Gesänge der Gläubigen hören kann.
Diese Reise ist in Kooperation mit Ethiopian Airlines und Paradise Ethiopia/African Dreams entstanden. Vielen Dank dafür!
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