Kalt, windig und aprilkurze Regenschauer – so stelle man sich den Frühling 2015 vor, zumindest in Amsterdam. Es will einfach nicht warm werden, die Bäume bleiben kahl, die Schals um den Hals und die kurze Hose noch ganz weit hinten im Kleiderschrank.
Doch wie es meine Jahresplanung 2015 so vorgesehen hat, strebe ich zusammen mit meinem Partner diesmal nicht dem Süden entgegen, wo es jetzt schon warm und gemütlich sein kann. Nein, mein Plan heisst für das erste Wochenende im schönen Mai eine Reise nach Prag, die goldene Stadt an der Moldau. Unzählige Male habe ich die tschechische Hauptstadt bereits besucht, unzählige Male sind mir die Menschenmassen in der Altstadt auf den Keks gegangen, doch auch unzählige Male hab ich mich wieder und wieder in die wunderschöne Stadt reich an barocker und art nouveau Architektur verliebt. Eine Stadt zum Abschalten, Auftanken und Genießen. Es sollte ein frühlingshaftes Wochenende werden ganz unverhofft mit bis zu 28°C auf unserer Reise nach Prag.
Reise nach Prag: Prag kann auch sportlich und schwul
Passend zum Wetter fand auch in diesem Jahr wieder das Rainbow Spring Gay Tournament des größten, tschechischen Gay-Sportvereins Alcedo in Prag statt. Zum 16. Mal bereits standen sich Sportlerinnen und Sportler aus aller Herren Länder gegenüber und kämpften gegeneinander, feierten miteinander und genossen die Zeit mit alten und neuen Freunden. Es sollte das erste Schwul-lesbisch-trans-bi-Turnier für meinen Partner sein, der mit Sport so gar nichts am Hut hat und sich eigentlich so gar nicht richtig vorstellen konnte, dass es wirklich um Leistungssport gehen sollte. Doch auf Anfang.
Reise nach Prag: Guten Morgen, du wunderschöne Stadt
Mit ein wenig Verspätung landen wir am Freitag den 01. Mai am Václav Havel Airport Prague und werden mit dem hoteleigenen „Minibus“ ins Hotel gefahren. Standesgemäß befindet sich das Hotel nur 5 Gehminuten vom Schloss und dem Veitsdom entfernt. Wie schön die Aussicht von hier sein sollte, entdeckten wir am frühen Morgen, geweckt von gurrenden Tauben auf dem Dach und der Sonne im Gesicht.
Das Apartment direkt unter dem Dach hält alle Versprechen und so versuchen wir uns schnell in den Schlaf zu kuscheln, der Wecker klingelt ja schließlich bereits morgens um 7 Uhr.
Nach einem 30 Minuten Spaziergang erreichen wir am kommenden Morgen leicht übernächtig die mit einem Regenbogen verzierte und mit motivierten schwulen und lesbischen Sportlern gefüllte Austragungshalle der Prager Universität. Kurz gefrühstückt geht es dann auch schon in die Vorrundenspiele. Nachdem die Bearlin Chaser, ja so haben meine Berliner Freunde und ich uns genannt, das erste Spiel gegen Danzig verloren haben, folgten Siege gegen Prag und Warschau. Schon standen wir nach umkämpften Spielen im Viertelfinale gegen Düsseldorf. Es sollte leichter werden als erwartet. Doch im Halbfinale unterliegen wir dann doch mit 2 Punkten gegen die Münchner Los Amigos und spielen dann im kleinen Finale gegen eine Prager Mannschaft um Bronze. Was hier so wie ein kurzer Tagesabriss von 4 Stunden klingt, beinhaltet dann doch fast 12 Stunden Volleyball mit einem erschöpften kleinen Finale. Wir gewinnen Bronze in der zweithöchsten Klasse und können vor Freude und Muskelkrämpfen kaum noch stehen.
Zum Glück ist mein Mann an meiner Seite und stützte mich mit Massagen und den liebsten Worten die Mann hören mag. Ein ereignisreicher Tag unter Freunden neigt sich dem Ende entgegen, doch es sollte noch ein gemeinsames Abendessen und eine Abschlussparty folgen. Wo dafür die Reserven fürs Tanzen herkamen, weiss ich immer noch nicht. Ich weiss nur, es war ein toller Tag.
Reise nach Prag: Der Tag danach – oder Prag mal anders
Der Sonntag war dem Ausschlafen vorbehalten. Ruhig und gelassen starteten wir dann in den Tag. Als große Liebhaber der guten Küche fernab der Touristenströme, begeben wir uns dann zum Mittagessen auf die Suche nach dem perfekten Aussichtspunkt mit Nahrungsangebot. Gar nicht weit vom Hotel finden wir eine versteckte Terrasse über den Dächern der Stadt mit einem Blick bis zur Moldau. Fabelhaft. Auch wenn der Sonnenschein eine Pause machte, die Aussicht ließ sich auch mit ein paar Wolken am Himmel hervorragend genießen. Entspannt, ruhig und ohne Stress, so fühlt sich Prag von hier oben aus an. Ein idealer Tipp ist das Restaurant Valoria. Eigentlich gar kein sooo geheimer Tipp, da man es ganz einfach vom Platz vor der Burg aus sehen kann. Allerdings muss man dazu ersteinmal den Eingang oder besser gesagt den Hotel-Aufgang mit Lift finden. Eine kleinere, aber touristisch sehr lebendige Gasse gibt an einer bestimmten Stelle einen pink bis lila beleuchteten Durchgang frei. Eine, in unserem Fall, junge Dame empfängt die Besucher mit einem Blick in die Speisekarte und fährt anschließen gemeinsam mit dem kleinen Glasfahrstuhl auf die Dachterrasse. Voilá.. die Kombination aus fabelhaftem Ausblick mit leckerem Essen ist perfekt.
Reise nach Prag: Illusion und Trick
Dann geht es in die Stadt. Als Theatermacher hat mein Partner natürlich eine Vorliebe für ausgefallene Museen und saugt alles Wissenswerte über das Filmemachen und Theaterspielen in sich auf. So ist es nicht verwunderlich, dass wir ins „Film Special Effects Museum“ fallen und einem eher weniger bekannten Meister der Illusions- und Tricktechnik über den Weg laufen, Karel Zeman. In Filmen „Reise in die Urzeit“ oder Bücherfilmungen von Jules Vernes speziell für Kinder brachte Zeman noch vor dem Zeitalter der Computertechnik bahnbrechende Filme auf die Leinwand. Sein Geheimnis: Perspektive! Und so erlebten wir einige Stunden in einer ganz anderen Welt, verzaubernd schön und ein bisschen verwirrt über Wahrheit und Trick.
Reise nach Prag: Kultur und Architektur – zum Wegtanzen
Mit einer eisgekühlten Kofola, der urtypisch tschechischen Variante der Cola, schlendern wir die Westseite der Moldau in südliche Richtung, treffen auf Straßen-Jazz-Musiker, duftende Fliederbäume, tun es verliebten Pärchen im Gras gleich und erreichen schließlich händchenhaltend die Brücke „Jiráskův most“. An deren östlicher Uferseite schwingt eine äußerst umstrittene architektonische Meisterleistung das Tanzbein: „das tanzende Haus“. Glas und Beton im Stil der 90er inmitten einer Vielzahl prächtigster Jugendstilgebäude stellt Sinn und Zweck des Baus mehr als in Frage. Und doch empfinde ich nicht nur Abneigung für den 1996 fertig gestellten Bau, ist es doch ein typisches Zeugnis der 90er Jahre mit dem Versuch „anders zu sein“, wie wir beide einstimmig feststellen. Tänzelnd heißt unser nächsten Ziel das Altstadtzentrum..
Reise nach Prag: Apropos händchenhaltend
Das habe ich in Prag noch nie bereut. Bereut? Es ist nicht überall so normal wie scheint: Nicht überall auf der Welt ist ein einfaches Händchenhalten eine tolerierte und geduldete Gäste der Zuneigung. Auch in unserer vermeintlich so toleranten Gesellschaft spielen Intoleranz, Diskriminierungen und Beschimpfungen auch weiterhin eine große Rolle. In Prag ist das nicht anders. Auch hier ernten wir überraschte Blicke und sehen in erstaunte Gesichter, aber alles blieb friedlich. Und doch entscheiden wir uns in so manch anderen Situationen und Orten, lieber nicht das wohl einfachste und unschuldigste Zeichen von Zuneigung auszuleben. Sicher ist sicher.
Reise nach Prag: Das Beste ist – einfach laufen!
Den Menschenmassen sind wir natürlich begegnet, ist die Altstadt doch ein Touristenmagnet für Reisende aus aller Welt auf Prag- oder Europareise. Doch neben köstlichen Schweinebraten mit böhmischen Knödeln, dem ersten Pilsener Bier der Welt und Spejbl und Hurvínek an jeder Ecke in den unzählbaren Souvenirgeschäften, Prag ist und bleibt eine meiner Lieblingsstädte, händchenhaltend oder eben doch mit einem Kuss zwischen Mann und Mann.
Denn auch das ist Prag. Wie der Regenbogen ist auch die Toleranz ganz nah und ganz fern und abhängig vom Blickwinkel. In einigen Jahren könnte sich das auch im so konservativ christlichen Tschechien lockern. Wir hoffen es. Für mich hat sich auf jeden Fall schon einiges verbessert. Prag macht Lust auf mehr, mehr Frühling, mehr vom Jahr und mehr Freiheit. Ich komme wieder, bestimmt.
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